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Senioren, wollt ihr ewig leben?

Sie tun wirklich fast alles dafür. Mediziner, Pharmazeuten, Heilpraktiker, Wunderheiler, Theologen… . Nur die Bestatter und die Totengräber nicht, schließlich leben die von unserer Endlichkeit.

Aber haben jene Heiler und Gesundbeter eigentlich uns Rentner, Pensionäre, Senioren und sonstige Altgediente schon einmal gefragt, ob wir gegen Ende wirklich noch ewig leben wollen? Schließlich ginge es ohnehin nicht um die ewige Jugend sondern um das ewige Alter.

Also, wenn sie mich fragen sollten: Mir reicht mein begrenztes Erdendasein vollauf.

Wenn ich mir vorstelle, mich und diverse andere Menschen unbegrenzt aushalten zu müssen, überkommt mich einerseits realistisch vorausschauend Langeweile und andererseits eine gewisse Abscheu.

Habe ich doch schon viele Jahre meine peinlichen Macken, Hemmungen, Zweifel und sonstige Unzulänglichkeiten mühsam vertuscht oder offen ausgehalten. Und gäbe es jenes erlösende Ende nicht, würde ich manchen lästigen oder gar verhassten Zeitgenossen noch nicht einmal mittels wütender Mordfantasien umbringen können, denn ein ewig Lebender kommt vermutlich nicht mehr auf die Idee, dass dem Leben ein Ende gesetzt werden könnte.

Nein, ich will weder selbst immer weiterleben, noch will ich, dass unangenehme Nachbarn und Chefs, rechtsradikale Politiker, unfähige Lehrer, Dauerversager, Diktatoren, Intriganten, Besserwisser, Schwätzerinnen und Schwätzer, ewig Unschuldige und ewig Gestrige sowie all die anderen lästigen Mitmenschen mir das unendliche Leben verderben. In meinem gerade einmal siebzig-jährigen Erdendasein haben mich meine und die unangenehmen Verhaltensweisen jener für ein begrenztes Leben längst ausreichend mit Unmut versorgt.

Nun gut, es gibt auch angenehme Zeitgenossen. Selbst ich bin in der Lage, gelegentlich charmant zu sein. Aber wer hält es schon aus, unbegrenzt seine besten Seiten zu präsentieren. Ich jedenfalls nicht. Und meine Freunde, Verwandten, Nachbarn und einstigen Kollegen am Arbeitsplatz zeigen – ob nun gewollt oder vollkommen unbeabsichtigt -  durchaus mehr als einmal im Jahr ihre minder erträglichen Launen.

Ewig gut und freundlich zu sein, dazu reicht mein durchweg realistisches Vorstellungsvermögen nicht.

Im übrigen, was sollen Ewige noch mit Liebe und wir inzwischen weniger hormonell Gesteuerten gar mit sinnlichen Fortpflanzungsambitionen?!

Die wären absolut überflüssig, da die Erde längst überbevölkert ist und es bleiben würde. Und ewig mit Menschen zusammen zu leben, die nicht einmal lieben können? Nein, danke. Aber Hass, den gäbe es vermutlich weiterhin, zumindest gegen alle, die einem bisher das Leben schwer gemacht haben. Ansonsten blieben unter Umständen relativ abgebrühte und weitgehend gefühlsneutrale Wesen zurück, die noch nicht einmal wüssten, was Lebenssinn, Lebenswerk oder Leben überhaupt noch sein könnte. Wahrscheinlich würden sogar Soldaten ohne Schießbefehl überflüssig und die Todesstrafe könnte niemanden mehr von irgendwelchen schweren Verbrechen abhalten, von denen Mord und Totschlag völlig in Vergessenheit geraten wären.

Doch was wäre die Welt ohne echte Bosheiten. Ein Krimi ohne Verbrecher und vollkommen ohne Leichen. Wie unspannend!

Auch wenn ich inzwischen manchmal auf meine einstige Arbeit in der Stadtverwaltung Köln durchaus versöhnlich und leicht wehmütig zurückblicke: Ewig dort zu arbeiten, wäre unerträglich. Immerhin hätte Köln – neben Rom als deren colonia – das Zeug zur ewigen Stadt. Allerdings wäre ewiger Bürokratismus mit Paraphen, Unterschriftsvollmachten, Verfügungen, Anträgen und reichlich hierarchischem Konfliktstoff selbst für beharrliche Bürokraten eine unerträgliche Zumutung.

Endloser Urlaub wäre sicherlich angenehmer. Doch Urlaub ohne Arbeit? Ständige Landnahme per Handtuch an fremden Stränden? Drängelei vor den Gates der Flughäfen um Plätze, die im Flugzeug ohnehin reserviert sind?

Da könnte der Konkurrenzkampf am Arbeitsplatz um die Zuneigung der Vorgesetzten durchaus mithalten. In jedem Fall käme es sehr darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Ewigkeit anfangen würde.

Bei allem Ewigkeitswahn sollte sie doch lieber nach meinem Ableben beginnen. Und Ärzte, die weiterhin nicht alles können, sind mir daher weiterhin ebenso sympathisch wie Bestatter, die feierlich auftreten, damit der allerletzte Akt nicht allzu würdelos von statten geht.

 

So frage ich mich und meine Mitseniorinnen und –senioren: Wollt ihr wirklich ewig leben??? Und besonders froh bin ich, dass diese meine Frage weiterhin nur eine rein rhetorische bleiben kann.



Senioren-Rache

Immer mehr nähere ich mich jenem lammfrommen Alter, in dem Menschen den Frieden mit der Welt und ihrem Leben eingehen sollten. Doch ich verspüre nicht einmal Lust, auch nur mit den Friedensverhandlungen zu beginnen. Finde ich doch stets noch viel zu viele Gelegenheiten, mich an Zeitgenossinnen und –genossen zu reiben oder gar zu rächen. Und ausgerechnet meine jeglicher Altersweisheit widersprechenden Rachegelüste treiben mich an.

Die ganz besondere Chance dazu fand ich kürzlich in der Regionalbahn von Engelskirchen nach Köln/Hansaring.

Ein unübersehbar griesgrämiger Junggreis setzte sich mir gegenüber auf den mit blau-orangenem Plüsch bezogenen Sitz und ließ umgehend sich und vor allem seine reichlich feuchten Mundwinkel hängen.

Als ich es mit einem vorsichtigen Lächeln bei ihm versuchte, nahmen seine Lippen noch mehr die Form einer schmalsten nach unten offenen Mondsichel an. Schließlich holte er unendlich tief Luft. Hielt den Atem einen Moment lang zurück. Und als er schließlich errötete, blies er mir einen tiefen lauwarmen nach Bier riechenden Seufzer entgegen. Danach stimmte er eines seiner vermutlich besonders geliebten Klagelieder an: „Dass die Bahn auch niemals pünktlich sein kann! Immer muss ich warten und warten. Immer ich!“ Dabei füllten sich hinter der schlecht geputzten Hornbrille seine trüben Augen mit ein wenig noch trüberem Salzwasser.

Ich lächelte weiter. „Aber Sie sind sicher Rentner. Da kommt es doch auf ein paar Minuten nicht an. Oder?“

Seine trüben Milchglasaugen klärten sich blitzartig auf. „Ich?... Zeit? So was gab’s noch, als mein Großvater in Ruhestand ging. Rentner können sich heutzutage die Entdeckung der Langsamkeit nicht mehr leisten.Überhaupt und ganz und gar nicht!“

Ruckartig hob er beide Arme über den Kopf und ließ sie klatschend auf seine Oberschenkel fallen, senkte das Haupt und starrte auf meine Schuhe.

Schulterzuckend, aber unbeeindruckt setzte ich mein Lächeln fort. „Entschuldigung. Aber ich wollte Sie nicht beleidigen!“

„Beleidigen, beleidigen. Ich bin gestresst. Allein die Arztbesuche. Muss heute zum Zahnarzt, zum Orthopäden, zum Internisten, zum …“ Er holte wieder Luft. „Und dann zur Bank. Und überall diese Automaten. In der Beamtenbank, an den Bahnhöfen, an den Straßenbahnhaltestellen…!“

Mit einem erneuten Seufzer sackte er auf seinem Sitz zusammen und sah mich von unten flehendlich an.

„Aber es gibt doch immer Leute, die Ihnen helfen können. Sie müssen nur fragen.“

Als ich „helfen“ sagte, richtete er sich halb wieder auf.

„Helfen? Wer nimmt sich denn die Zeit. Wir Alten sollen doch möglichst autark bleiben. Für unsere Pflege entwickeln sie sogar schon Roboter. Können Sie sich vorstellen, wie liebevoll so ein technisches Monster mit Ihnen umgehen wird, wenn es Ihnen schlimmstenfalls den Hintern abwischt? Können Sie sich das vorstellen?“

Lächelnd schüttelte ich den Kopf.

„Sehn Sie. Das können selbst Sie nicht.“

„Doch bei Ihnen kann ich mir das vorstellen. Und Ihr Roboter wird so programmiert sein, dass er Ihnen sogar zuhört, wenn Sie rumjammern. Was wollen Sie denn noch mehr?“

„Naja, was wir doch alle wollen… . Ne nette junge Pflegerin, natürlich.“

In diesem Moment setzte sich eine junge Blondine neben mich und überließ ihre durch hautengste Jeans nach- und wohlgeformten Beine unseren lüsternen Blicken.

Wir schwiegen beide. Ich, weil ich gerade tief Luft holten wollte, und mein Junggreis gegenüber, da er bereits gierig Luft aus der Umgebung und seinem beachtlichen über den Hosengürtel hängenden Bauch sog, um damit den massigen Oberkörper aufzublähen.

Gleich, so vermutete ich, wird der sich noch mit den Fäusten gegen Brustkorb trommeln.

Doch auf diese Protzgeste verzichtete er und sagte an mich gewandt, obwohl er dabei die langhaarige Blondine anlächelte. „Wissen Sie, wenn ich was nicht ausstehen kann, dann sind das diese alten Männer, die ständig über die heutigen Zeiten und ihren ach so bedauernswerten Zustand jammern.“ Danach musste er erst einmal rasselnd ausatmen.

Natürlich verging mir in dem Moment mein Lächeln. Und vermutlich sah ich plötzlich aus, wie einer jener Alten, die sich ständig und über alles beklagen.


 






 

 

 

 

 


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